Vor fast zwei Jahren habe ich den Garten gegenüber vom Bauernhof, nah am Tief besetzt. Er bot ideale Möglichkeiten, sich zu verstecken, auf Mäuse und sonstiges Getier zu lauern. Die Büsche waren sehr dicht zusammengewachsen, Blumen und Wildkräuter waren ungestört zu einem wahren Paradies gewachsen. Es gab allerdings noch andere Katzen, die dieses Grundstück bevölkerten. Die wurden vom Hund der Besitzerin nicht gerne gesehen und auf Bäume oder über die Zäune gejagt.
Ich war nicht allein, mein Begleiter war ein imposanter schwarzer Kater mit einem weißen Jabot und weißen Stiefeln. Wir hielten uns meistens im Schutz der Hecken und Büsche auf. Bis ich eines Tages beschloss, die Besitzerin zu erobern. Ich ließ mich kurz sehen und merkte, daß sie Interesse zeigte. Nach ein paar Tagen lockte sie mich an und gab mir ein Stück getrocknetes Fleisch. Es roch nach Hund, aber ich verspeiste es mit Appetit. Ich schmeichelte mich ein und folgte der Frau auf Schritt und Tritt. Vor ihren Augen fing ich eine Maus und vertilgte sie. Die Frau fand das offenbar gut.
Gegen Abend fuhr sie mit ihrem kleinen Auto weg und kam mit einer Packung Katzenfutter zurück. Vor der Haustür deckte sie mir den Futterplatz: ein Schälchen mit Futter und eins mit Wasser. Mein Begleiter saß gut getarnt im Gebüsch und beobachtete alles. Als ich nun speiste, schlich er näher. Ich wies ihn in seine Schranken. Erst als ich satt war, durfte er kommen und den Rest fressen.
Von dem Tag an bekamen wir täglich unsere Mahlzeiten. Der Hund hat schon am ersten Tag gelernt, daß wir etwas Besonderes waren, daß er uns in Ruhe lassen musste.
Nach einigen Wochen fing die Frau mich ein, steckte mich in eine Transportbox und fuhr mich mit dem kleinen Auto zum Tierarzt. Der untersuchte mich und sagte, ich sei gesund. Aber kastriert sei ich nicht. So ein Blödmann! Er hat nur auf meinen Bauch geguckt, aber nicht auf meine Seiten. Der Tierarzt, der mich Jahre vorher operiert hatte, hat einen seitlichen Zugang gewählt. Blöderweise hatte er mich nicht gechipt. So konnte niemand Auskunft geben. Und mich verstand ja keiner, als ich protestierte.
So wurde ich wieder operiert. Das Gesicht des Tierarztes hätte ich gerne gesehen, als er in meinem Bauch nichts fand. Aber ich war ja weggetreten.
Ich erholte mich schnell und verbrachte die Erholungszeit im Haus. Dort hatte ich ein Plätzchen, an dem mich niemand störte, hatte ein privates Klo und dreimal am Tag Futter und immer Wasser. Ich blieb auch nach der Rekonvaleszenz nachts dort. Der Hund frisst auch dort. Er braucht dreimal am Tag Tropfen über’s Futter. Da bekomme ich auch immer eine Mahlzeit; denn sonst meint die Frau, wäre ich traurig. Ich bekam auch einen Namen. Belle Jolie. Den haben die Enkelinnen ausgesucht. Der Kater, der immer irgendwo im Hintergrund saß, bekam auch einen Namen: Filou. Weil die Frau immer lachen musste, wenn sie ihn sah. Er blieb aber draußen und fraß auch sein Näpfchen dort leer.
Nun ist er nicht mehr hier. Ich sitze manchmal auf dem Stein, den sie auf sein Grab gelegt haben, und sonne mich. Ansonsten muss ich jetzt den Garten allein bewachen. Das ist leichter geworden, weil seit dem vergangenen Jahre zwei Menschen kommen und die schwere Gartenarbeit machen. Sie nennt sie Heinzelmännchen, obwohl sie keine Zipfelmützen tragen und auch nicht heimlich arbeiten. Ich brauche ja nun auch nicht mehr so viele Versteckmöglichkeiten mehr.
Ich muss mir immer wieder etwas einfallen lassen, wie ich die Frau zum Lachen bringe. Manchmal gelingt es mir mehrmals am Tag. Ich necke den Hund, der manchmal eine Riesensatz macht, wenn ich mich aus einem Hinterhalt auf ihn stürze. Aber wir tun uns nichts Ernsthaftes. Er darf immer mein Näpfchen auslecken. Manchmal lasse ich ihm etwas drin.